Genossenschaftsgeschichte

Der Ursprung der Genossenschaften

Genossenschaften gibt es bereits seit dem Mittelalter, wenn sie damals auch anders hießen und noch nicht so strukturiert waren wie die heutigen. Sie bestanden jedoch immer, wie es auch heute noch ist, im Zusammenschluss vieler Menschen zur Durchsetzung und Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen.

Die neuzeitlichen Genossenschaften entstanden zwischen 1830 und 1845 in Westeuropa als wirtschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Industrialisierung. Diese Selbsthilfe wurde notwendig, als die industrielle Massenproduktion die Existenz der mittelständischen Produzenten bedrohte. Wenn der Mittelstand nicht untergehen wollte, musste er sich selbst helfen. So entwickelten Saint-Simon und Fourier in Frankreich den Gedanken der Produktionsgenossenschaften. Die Verbrauchergenossenschaften haben ihren Ursprung in England, wo die Ideen Kings und Owens zur Gründung eines Konsumvereins führten.

Entstehung

Die Industrialisierung setzte in Deutschland später ein als in England und Frankreich. Doch als auch hier aus Manufakturen Fabriken wurden, war - wie in anderen Ländern bereits geschehen - das weitere Bestehen der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden gefährdet. Sie waren nicht in der Lage, ihre Produkte so preisgünstig anzubieten wie die Großproduzenten.

In dieser Situation fanden drei Männer, teilweise unabhängig voneinander, mit der Weiterentwicklung und breiten Umsetzung der genossenschaftlichen Idee einen Ausweg. Victor Aimé Huber hatte mehrere europäische Länder besucht und dort die ersten genossenschaftlichen Einrichtungen kennen gelernt. Sein Verdienst bestand in Berichten über das Genossenschaftswesen in den industriell fortgeschrittenen Staaten. Vor allem Hermann Schulze-Delitzsch wurde von ihm beeinflusst.

"Was den einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele..."

Diese Erkenntnis Raiffeisens entsprach dem genossenschaftlichen Gedanken des Zusammenschlusses Betroffener. Und das von Schulze-Delitzsch formulierte Prinzip, die Existenz des gewerblichen Mittelstandes mittels Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung zu sichern, wurde zum noch heute gültigen genossenschaftlichen Grundsatz. Der Zusammenschluss vieler auf der Basis eigenverantwortlichen Wirtschaftens ermöglicht und erhält die Konkurrenzfähigkeit des einzelnen. Die Verwirklichung dieser Prinzipien war jedoch nur möglich, wenn dem selbständigen Mittelstand ausreichendes Geschäfts- und Betriebskapital zur Verfügung stand. Dieser Tatsache entsprechend wurden vor 150 Jahren mit Darlehnskassen und Vorschussvereinen die ersten Genossenschaftsbanken gegründet.

Genossenschaft

Was ist eine Genossenschaft?

Das Genossenschaftsgesetz legt fest:

Genossenschaften sind Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken.

Der genossenschaftliche Förderauftrag ist ein wesentlicher Unterschied zu kapitalbezogenen Rechtsformen.

Die Genossenschaft ist eine spezielle, wirtschaftlich und rechtlich selbstständige Unternehmensform, die gleichzeitig sowohl Wirtschaftsunternehmen auch Personenvereinigung ist.

Um eine Genossenschaft zu gründen, bedarf es des Zusammenschlusses von mindestens sieben Personen, eine festgesetzte Höchstzahl gibt es nicht. Die Mitgliedschaft steht jedem Bürger offen und ist die freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen. Mitglied wird man durch den Erwerb von Anteilen an der Genossenschaft. Die Genossenschaften werden von ihren Mitgliedern gemäß dem genossenschaftlichen Prinzip selbst bestimmt, selbst verwaltet und selbst verantwortet. Dabei hat jedes Mitglied gleiches Stimmrecht, unabhängig von der Anzahl der von ihm erworbenen Genossenschaftsanteile. Auch darin unterscheidet sich die Genossenschaft von anderen Rechtsformen.

Die Genossenschaftsmitglieder wählen aus ihren Reihen entweder direkt oder - bei mehr als 1.500 Mitgliedern - über Vertreter den Aufsichtsrat, der wiederum den geschäftsführenden Vorstand bestellt. Auf diese Weise wird demokratische Mitbestimmung realisiert.

Vorstand und Aufsichtsrat sind den Mitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig. Mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister beim zuständigen Amtsgericht ("eG" bedeutet "eingetragene Genossenschaft") erhält die Gründung einer Genossenschaft Gültigkeit. Somit hat die Genossenschaft das Recht, als solche Geschäfte zu führen und Verträge zu schließen. Das Gesetz schreibt jeder Genossenschaft die Mitgliedschaft in einem Verband mit Prüfungsrecht vor. D. h., jede Genossenschaft wird jährlich einer intensiven Prüfung unterzogen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Der Zusammenschluss vieler und deren eigenverantwortliches Wirtschaften sollte auch nach der Theorie von Hermann Schulze die Konkurrenzfähigkeit des Einzelnen ermöglichen und wahren. So wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten genossenschaftlichen Darlehenskassenvereine gegründet.

Auf der Basis von

  • Selbsthilfe
  • Selbstverantwortung
  • und Selbstverwaltung

nahmen sie Beitrittsgelder und Spareinlagen ihrer Mitglieder auf, um damit an bedürftige Mitglieder Kredite auszureichen. Man stützte sich nicht mehr auf Spenden und Wohltätigkeit Vermögender. Der Mittelstand half sich selbst. Die "Hilfe zur Selbsthilfe" wurde zum genossenschaftlichen Prinzip. In seinem 1855 erschienenen Buch "Vorschussvereine als Volksbanken" (hier fiel erstmalig der Begriff Volksbank), gab Hermann Schulze-Delitzsch Anleitung zur Gründung von Genossenschaften. Der Erfolg gab den Gründern Recht. Überall im Land entstanden nun Darlehenskassen, Vorschussvereine und Creditvereine.

Die erste Volksbank, die "Banque du Peuple", wurde 1849 in Frankreich von Pierre Joseph Proudhon (geb. 15. Januar 1809 in Besancon; gest. 19. Januar 1865 in Paris) gegründet. Sie basierte zwar auf wohltätigen, jedoch noch nicht auf genossenschaftlichen Prinzipien. Mit dem Ausreichen kostenloser Kredite musste sie bereits nach einem halben Jahr Geschäftstätigkeit ihre Schalter schließen.

In Deutschland arbeiten Genossenschaftsbanken seit jeher nach den selben Grundsätzen wie andere Genossenschaften. In den Jahren und Jahrzehnten unmittelbar nach Gründung der ersten Genossenschaften waren sie es, die Handwerkern und Gewerbetreibenden die für deren weitere Existenz notwendigen Kredite verschafften. Bis zum heutigen Zeitpunkt haben sie sehr viel dazu beigetragen, dem gewerblichen und ländlichen Mittelstand, wie selbstverständlich auch allen anderen Kunden, Geldanlagen und Kredite zu erschließen.

Genossenschaftsbanken zahlen an ihre Mitglieder auf jeden erworbenen Geschäftsanteil alljährlich eine Dividende, deren Höhe jeweils von der General- bzw. Vertreterversammlung beschlossen wird.

Volksbanken und Raiffeisenbanken sind Universalbanken. Sie sind nicht auf wenige Geschäftsarten spezialisiert, sondern bieten Bankleistungen jeglicher Art an.

Die Fähigkeit, als Universalbanken sämtliche Bankdienstleistungen erbringen zu können, verdanken die Volksbanken und Raiffeisenbanken wesentlich der engen Zusammenarbeit in ihrem Verbund. Durch Kooperation im Verbund werden Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt.

Der Faktor Sicherheit hat bei den genossenschaftlichen Banken eine immens hohe Bedeutung, da es bei Banken in weit höherem Maße als bei anderen Genossenschaften um das anvertraute Geld von Mitgliedern und Kunden geht. Um den Haftungsfall der Genossen für ihre Bank auszuschließen, werden hier die Prüfungen durch das Bundesaufsichtsamt und die Genossenschaftsverbände besonders wirksam. Hinzu kommt als weitere Sicherheitseinrichtung der genossenschaftliche Garantiefonds, dessen System bereits vor Jahren vom Gesetzgeber auch für andere Kreditinstitute übernommen wurde.

Infolge des genossenschaftlichen Konzepts zeichnen sich die Genossenschaftsbanken gegenüber anderen Banken durch besondere Kundennähe aus. Darunter ist sowohl die Dichte des Filialnetzes als auch das Verhältnis zu jedem einzelnen Kunden zu verstehen. Die Kenntnis der Bedürfnisse der Kunden ermöglicht der Bank die Beratung zu einer optimalen Finanzstrategie zum Nutzen des Kunden.

Hermann Schulze-Delitzsch (29.08.1808 - 29.04.1883)

Er war der wichtigste Promotor in der deutschen Genossenschaftsgeschichte.

Der Familientradition entsprechend war er in seiner Heimatstadt zunächst als Patrimonialrichter, später als Rechtsanwalt tätig. Er war Abgeordneter Delitzschs in der Preußischen Nationalversammlung in Berlin, von 1861 an bis zu seinem Tod war er Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.

Nach parlamentarischer Gepflogenheit wurde er zur Unterscheidung von anderen Abgeordneten gleichen Namens "Schulze-Delitzsch" genannt. Schulze-Delitzschs Kenntnis der sozialen Probleme aus seinen Tätigkeiten als Patrimonialrichter und als Vorsitzender der Kommission für Handwerkerfragen der Nationalversammlung sowie Hubers literarische Anregungen veranlassten ihn, sich der genossenschaftlichen Selbsthilfe zu widmen. Zwar basierten die ersten genossenschaftlichen Gründungen Schulze-Delitzschs noch auf Elementen der Fremdhilfe, aber die Selbsthilfe stand von Anfang an im Vordergrund, bis sie sich auf Grund der Erfahrungen nach einigen Jahren vollkommen durchsetzte.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen (30.03.1818 - 11.03.1888)

Friedrich Wilhelm Raiffeisen war viele Jahre lang Bürgermeister im Westerwald. Hier erlebte er die existenziellen Schwierigkeiten der Bauern.

Er erkannte den Wucher als Kernpunkt der Probleme auf dem Dorf. Letzten Endes äußerten sich die sozialen Missstände in verstärkter Landflucht. Gleich seinen beiden Mitstreitern für das Genossenschaftswesen erfuhr auch Raiffeisen die Auswirkungen der Industrialisierung.

Persönliche Kontakte zu Huber oder Schulze-Delitzsch hatte Raiffeisen nicht, übernahm jedoch aus Schulze-Delitzschs Veröffentlichungen und aus dem Briefwechsel mit ihm organisatorische Details für seine Genossenschaften. Er strebte die Dorfgenossenschaft als Basis eines genossenschaftlichen Systems an.