Aktuelles zu Finanzmärkten und Konjunktur
Wocheninfo vom 16.05.2022
- Hohe Volatilität ob der Angst vor der Rezession
- Verluste in USA, Stagnation in Europa
- Anleiherenditen im Rückwärtsgang
- Euro verliert weiter
- Rohstoffe zwischen Rezession und Krieg
- Konjunkturerwartungen im Keller
- Weniger Insolvenzen
- Inflationsrate von 7,4 % bestätigt
- Geringere EU-Industrieproduktion
Hohe Volatilität ob der Angst vor der Rezession
Die hohe Volatilität, die die Märkte in der vergangenen Woche aufwiesen, ist insbesondere ein Zeichen für hohe Unsicherheit. Auf der einen Seite stehen die hohen Inflationsraten und die Zinsschritte insbesondere der Fed, auf der anderen Seite die großen konjunkturellen Risiken um Russlands Krieg in der Ukraine und die Lockdowns in China.
Die Anleger reagierten darauf in der vergangenen Woche mit der Umschichtung in Anlagen, deren Renditen dadurch erstmals seit Wochen wieder fielen. Ob der hohen Inflationsraten sind diese Renditen aber gegenwärtig weiterhin negativ, was den Zufluss bremst. Zudem sind die Anleihemärkte vom Ende der Ankaufprogramme der Notenbanken beeinträchtigt, da durch die Liquidität in ihnen abnimmt. Dadurch steigt auch in ihnen die Unsicherheit.
Ein eindeutiger sicherer Hafen ist unter diesen widrigen Bedingungen nicht erkennbar. Das zeigt sich auch bei der Entwicklung alternativer Anlagen wie Kryptowährungen, deren etablierteste, der Bitcoin, zwischen 29.000 und 36.000 Dollar schwankte. Auch die klassische Alternativanlage Gold verlor in der letzten Handelswoche 3,75 % und liegt mit 1.815 Dollar pro Unze deutlich unter dem Dreimonatshoch von 2.056 Dollar.
Die ungewisse Lage zeigt sich nicht zuletzt an den Aktienmärkten. Während die europäischen Indizes in der vergangenen Woche leicht zulegten, weiteten die amerikanischen ihre Verluste aus.
Es ist davon auszugehen, dass sich diese Phase der Volatilität über den Sommer hinaus fortsetzen wird, womöglich sogar mit noch heftigeren Kursschwankungen als bisher. Denn viele der Risikofaktoren für die Weltwirtschaft sind zu unsicher, als dass eine Eintrittswahrscheinlichkeiten oder ein Schadensvolumen vorab bestimmt werden könnte; so wie etwa ein Gaslieferstopp in Deutschland. Jedes neue Signal zur Null-Covid-Politik in China, zum russischen Angriff auf die Ukraine oder zur Wirtschaftslage in USA und EU verändert somit die Risikowahrnehmungen der Marktanleger. In einer so unsicheren und nervösen Lage können sich Kursbewegungen an der Börse schnell verselbstständigen oder verstärken.
Verluste in USA, Stagnation in Europa
Während der deutsche DAX (2,6 %) und der europäische Stoxx 50 (2 %) die Woche trotz großer Schwankungen letztlich im Plus beendeten, ging es an den US-Börsen abwärts. Der technologielastige Nasdaq Composite verlor 2,8 %, der Dow Jones 2,1 % und der S&P 500 2,4 %. Die stärkeren Verluste an den US-Börsen haben zwei unterschiedliche Ursachen: Erstens, die im Vergleich mit Europa sehr hohen Kursniveaus aus 2021; zweitens, die gegenwärtig zunehmenden Rezessionssorgen für die USA infolge von Inflation, Zinswende und geopolitischer Lage.
Anleiherenditen im Rückwärtsgang
Nachdem die Anleiherenditen in den letzten drei Monaten durchgängig aufwärts strebten, fielen sie in der vergangenen Woche erstmals wieder. Bedingt wird dies einerseits von einer Umschichtung der Anleger in sicherere Anlagen, häufig Staatsanleihen, und andererseits von einer Neubewertung der Inflations- und Zinsentwicklung vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession in den USA.
In diesem Spannungsverhältnis fiel die zehnjährige deutsche Bundesanleihe zum Wochenende unter die Schwelle von 1 % Rendite auf 0,95 %. Parallel fiel die Rendite der gleichlangen US-Bundesanleihe auf 2,9 % und damit wieder unter die Dreiprozentmarke.
Euro verliert weiter
Unter dem Eindruck der restriktiveren Zinspolitik der Fed und der Flucht der Anleger in den sicheren Dollar verlor der Euro weiter an Boden. Der Wechselkurs liegt nunmehr bei 1,04 Dollar pro Euro, eine Abwertung von weiteren 1,3 % zur Vorwoche. Der Euro verlor auch gegenüber den weiteren Handelspartnern der Eurozone an Wert. Der Index zu 42 Partnern fiel um einen Prozentpunkt. Diese Entwicklung erhöht das – inzwischen von der EZB aufgegriffene – Risiko importierter Inflation und damit den Druck auf die EZB, einen geldpolitischen Kurswechsel zu vollziehen.
Rohstoffe zwischen Rezession und Krieg
An den Rohstoffmärkten konkurriert der negative Nachfrageeffekt drohender Rezession beziehungsweise chinesischer Lockdowns mit dem Angebotsschock russischer Lieferstopps. In der Folge war der Markt in der Vorwoche stark bewegt, schloss aber nahezu unverändert. Einzig der Weizenpreis, mit weit weniger elastischerer Nachfrage und von Trockenheit bedrohtem Angebot, stieg weiter: Von 409,8 auf 435 Dollar pro Tonne (per Dow Jones Composite Index Wheat).
Konjunkturerwartungen im Keller
Angesichts der andauernden Belastungen durch den Krieg in der Ukraine sowie den Coronaeinschränkungen in China blicken Finanzmarktfachleute den wirtschaftlichen Perspektiven Deutschlands noch immer überwiegend skeptisch entgegen. Die auf einer monatlichen Umfrage unter diesen Fachleuten basierenden ZEW-Konjunkturerwartungen sind im Mai zwar um 6,7 Punkte gestiegen. Der konjunkturelle Frühindikator befindet sich damit aber weiterhin deutlich im negativen Bereich. Pessimistisch stimmen auch die Einschätzungen der Experten zur aktuellen Lage. Der entsprechende ZEW-Lageindikator ist im Mai den dritten Monat in Folge zurückgegangen. Er sank gegenüber April um 5,7 Punkte auf -36,5 Punkte. Bezüglich des Höhenflugs der Verbraucherpreise zeichnet sich aber eine gewisse Entspannung ab. Die Umfrageteilnehmer rechnen für die Zukunft mehrheitlich mit einem Rückgang der Inflationsrate von ihrem zuletzt sehr hohen Stand. Insgesamt legen die jüngsten Umfrageergebnisse für das Sommerhalbjahr eine gedämpfte Konjunkturdynamik nahe.
Weniger Insolvenzen
Nach einem kräftigen Anstieg im Vormonat dürfte die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland im April zurückgegangen sein. Dies legt zumindest der amtliche Schnellindikator nahe. Demnach verminderten sich die Regelinsolvenzen im Vormonatsvergleich um 20,8 %, nachdem sie im März um 27 % gestiegen waren. Zum Rückgang der Fallzahlen dürfte ein Kalendereffekt beigetragen haben: Die Zahl der Arbeitstage lag im April mit 19 Tagen drei bis vier Tage unter ihrem Vormonatsstand und um einen Tag unter der entsprechenden Tagezahlen der vergangenen drei Jahre. Der Schnellindikator zu den Regelinsolvenzen gibt frühe Hinweise auf die künftige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen. Diese sind zuletzt leicht von 1.057 Fälle im Januar auf 1.132 Fälle im Februar gestiegen. Gegenüber dem Februar 2021 waren jedoch 5,3 % weniger Unternehmensinsolvenzen zu verzeichnen. Bei den Angaben zu den Verbraucherinsolvenzen zeigt sich ein ähnliches Bild. Sie legten im Februar gegenüber dem Vormonat leicht von 5.221 auf 5.374 zu. Gegenüber Februar 2021 lagen sie aber um 30,9 % im Minus. Grund für den starken Rückgang ist das hohe Ausgangsniveau. Wegen der schrittweisen Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre waren die Fallzahlen zu Jahresbeginn 2021 kräftig gestiegen. Angesichts des verschlechterten Konjunkturumfelds und wegen des vergleichsweise niedrigen Ausgangsniveaus zeichnet sich für die nächsten Monate bei den Unternehmensinsolvenzen eher ein Anstieg als ein Rückgang ab.
Inflationsrate von 7,4 % bestätigt
Das Statistische Bundesamt hat inzwischen detaillierte Angaben zur jüngsten Entwicklung der Verbraucherpreise in Deutschland vorgelegt und dabei das zentrale Ergebnis seiner Ende April veröffentlichten vorläufigen Schätzungen bestätigt. Den Angaben zufolge ist die Inflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex (VPI), von 7,3 % im März auf 7,4 % im April gestiegen. Ähnlich hohe Inflationsraten hatte es zuletzt im Herbst 1981 in Westdeutschland infolge des Iranisch- Irakischen Krieges gegeben. Maßgeblich für den weiteren Anstieg der Inflationsrate waren die Nahrungsmittelpreise. Diese verteuerten sich im April stärker als im März (+8,6 % gegenüber +6,2 %). Nicht zuletzt für Speisefette und Speiseöle (+27,3 %) mussten die Verbraucher im Zuge des Ukrainekrieges mehr Geld aufwenden. Demgegenüber hat der Preisdruck von Seiten der Energie leicht nachgelassen. Haushaltsenergie und Kraftstoffe verteuerten sich im April um 35,3 %, nach einem Anstieg um 39,5 % im Vormonat. Die Kerninflationsrate, ohne Berücksichtigung von Energie- und Nahrungsmittelpreisen, lag zuletzt bei 3,8 % und damit weiterhin deutlich unter der Gesamtrate. Auch angesichts der kräftigen Preisdynamik auf der Erzeugerstufe dürften die Inflationsrate in naher Zukunft zunächst erhöht bleiben: Die Industrie-Erzeugerpreise waren im März um 30,9 % gestiegen.
Geringere EU-Industrieproduktion
Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und der anhaltenden Materialknappheiten ist die Industrieproduktion im Euroraum gesunken. Gemäß vorläufigen amtlichen Angaben gab die Erzeugung im März gegenüber dem Vormonat preis-, kalender- und saisonbereinigt um 1,8 % nach. Mit Ausnahme der Gebrauchsgüterhersteller verminderten alle Hauptgruppen ihre Produktion. Insbesondere die Hersteller von Investitionsgütern (-2,7 %) verzeichneten einen deutlichen Rückgang. Für die nächsten Monate lässt die Auftragsentwicklung eher einen Anstieg als einen weiteren Rückgang der Gesamtproduktion erwarten. So tendiert der Order-Indikator der EU-Kommission seit einiger Zeit auf hohem Niveau seitwärts. Ob die Aufträge abgearbeitet werden können, hängt aber nicht zuletzt vom weiteren Verlauf der Materialknappheiten ab – und damit auch von der weiteren geopolitischen Entwicklung.
Quelle: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken – BVR